| sebastian on 25 Jul 2001 18:06:36 -0000 |
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| [rohrpost] Der Tagesspiegel : Nachrichten : Berlin : 25.07.2001 : G-8-Gipfel : Genua |
Der Tagesspiegel
Nachrichten : Berlin
25.07.2001
G-8-Gipfel
Genua: Berliner mit Hirnblutung in Klinik
Italienische Polizei verweigert Angehörigen Zugang zu dem
lebensgefährlich Verletzten / 68 Deutsche inhaftiert
Barbara Junge
Bei der Razzia der italienischen Polizei im Zentrum der
Globalisierungsgegner in Genua ist in der Nacht zum Sonntag ein
21-jähriger Berliner sehr schwer verletzt worden. Wie dem
Tagesspiegel aus zuverlässiger Quelle bestätigt wurde, lag der
Mann zumindest noch am Montag im Koma. Angehörige, die versucht
haben, ihn mit Hilfe des deutschen Generalkonsulats in Genua zu
besuchen, wurden vor Ort abgewiesen. Die Polizei berief sich
auch bei diesem Schwerverletzten darauf, Inhaftierte bis zu 68
Stunden ohne Kontakt festhalten zu können. Den Angehörigen wurde
jedoch gesagt, der Verletzte sei aus dem Koma erwacht.
Der Mann hatte in der Diaz-Schule übernachtet, die die Stadt
Genua dem Genueser Sozialforum als zusätzliche Aufenthaltsräume
zur Verfügung gestellt hatte. Die Polizei hatte den Vorwurf
erhoben, von dort seien militante Aktionen ausgegangen. Deshalb
habe sie die Schule durchsucht. Bei der nächtlichen Durchsuchung
wurden mindestens 50 Menschen verhaftet, etliche verletzt. Die
Zahlen gehen hier weit auseinander, Augenzeugen berichten von 70
Festnahmen - von denen fünf schwer verletzt worden seien.
Die genauen Umstände wie der junge Berliner bei der Razzia
verletzt wurde, waren bis Dienstag nicht bekannt. Bestätigt ist
jedoch, dass eine Notoperation in einem Genueser Krankenhaus
stattgefunden hat. Wie die Angehörigen sagen, habe er eine
Hirnblutung erlitten. Dabei sei ein Hämatom unter der
Schädeldecke entstanden.
Das Auswärtige Amt in Berlin ist seit Montag bemüht, jedem
Verletzten und Verhafteten in Genua konsularische Betreuung
zukommen zu lassen - so sie denn gewünscht sei. Zu Einzelfällen
jedoch könne man sich aus Gründen des Datenschutzes nicht
äußern, wie ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte. Insgesamt
sind nach Informationen des Amtes 68 Deutsche in Genua
inhaftiert worden. Deutsche Konsularbeamte aus Mailand und Rom
seien bereits am Wochenende nach Genua entsandt worden, sie
stünden in engem Kontakt mit den italienischen Behörden.
Inzwischen habe man die Familienmitglieder der Inhaftierten fast
ausnahmslos informiert, teilte das Auswärtige Amt mit.
Unter den 68 Inhaftierten sind auch die Verletzten von der Nacht
zu Sonntag. Sie sind noch in den Krankenhäusern der Stadt oder
mit den anderen Festgenommenen in vier Gefängnissen im Raum
Genua. Die Meldung des italienischen Fernsehens vom Freitag,
wonach eine deutsche Globalisierungsgegnerin in Lebensgefahr
schwebe, hat sich nach den derzeitigen Informationen nicht
bestätigt. Der junge Berliner ist demnach der einzige Deutsche,
der in Lebensgefahr schwebt oder geschwebt hat. Eine Liste der
Verletzten und Inhaftierten hat das Bundeskriminalamt erstellt.
Augenzeugen in Berlin wie in Genua berichteten am Dienstag von
"ungeheuerlicher Brutalität", mit der die Polizei bei der Razzia
vorgegangen sei. Noch jetzt seien in der Schule die Blutspuren
oder Blutlachen zu sehen. Die grünen Innenpolitiker Cem Özdemir
und Christian Ströbele haben inzwischen eine internationale
Untersuchungskommission zu den Geschehnissen in Genua gefordert.
Dies sei keine inneritalienische Angelegenheit. Insbesondere die
Razzia in der Schule scheine durch nichts gerechtfertigt gewesen
zu sein.
Bodo Zeuner, Politikprofessor an der Freien Universität Berlin,
gehört zu den Eltern, die seit Tagen nichts von ihren Kindern
gehört haben. Am Dienstag berichtete er, dass seine 22-jährige
Tochter auch in der Diaz-Schule übernachtet habe. Bis zum Morgen
habe er nichts über den Verbleib seiner Tochter erfahren. Erst
dann sei er informiert worden, dass und in welchem Gefängnis sie
sich befinde. Er habe seit Sonntag in Genua, beim
Bundeskriminalamt und im Lagezentrum des Auswärtigen Amtes alle
paar Stunden angerufen, um Informationen über seine Tochter zu
erhalten. Irgendwann habe man ihm dann beim Generalkonsulat
gesagt, "ich möge doch mal einen Tag Ruhe geben". "Aber wie soll
ich denn Ruhe geben, wenn ich nicht einmal weiß, ob meine
Tochter lebt?", hat Bodo Zeuner geantwortet.
http://www2.tagesspiegel.de/archiv/2001/07/24/ak-be-443067.html
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